Der seltsame IKEA-Trip

Ein lauer Sommermorgen. Samstag. Zu jener Zeit, in der man, wäre es Winter, noch schliefe, jetzt jedoch schon wach ist, auf eine seltsame Art ausgeschlafen. Die Zeit, bevor sich die Mittagshitze über einen wirft, wie ein vollgeschwitztes Saunahandtuch. Das erste, was man sich morgens anzieht, sind die Autoschlüssel, weil man zur Abwechslung mal einen Auftrag hat. Die Kaffeetasse nimmt man gleich mit auf die Autobahn – aus dem Radio leichter Funk, thematisch an die eigene Befindlichkeit angelehnt. Sogar ein festes Ziel hat man – diesmal: Einkaufen. Bei IKEA. Die Vitrine Benno oder so soll es sein. Namen sind Schall und Rauch – so viele verschiedene Vitrinen mit Glastür wird es in dem schwedischen Möbelhaus schon nicht geben, denkt man sich. Schließlich weiß man ungefähr, wie das Ding aussieht. Häßliche Kiefer – würde man sich selbst nicht kaufen, geschweige denn dieses Teil überhaupt benötigen. Auftragsarbeit. Weil man ein Auto hat, wo das Ding reinpasst. Das Geld lag schon bereit, fast abgezählt, den Umweg zur Sparkasse konnte man sich schenken, der Tank ist noch halb voll, die Laune gut.

Einzig musste man sich vielleicht entscheiden, welches IKEA man aufsucht, die Wahl fiel auf den neugebauten Riesen im Süden der flirrenden Großstadt. Autobahnkreuz, andere Autobahn, Abfahrt verpasst, egal. Quer durch ein verkommenes Industriegebiet voller Gebrauchtwarenhändler, irgendwann erreicht man das Ziel: Ein Klotz aus Stahl, freundlich bunt bepinselt, zugestopft mit billig zugeschnittenem Holz und falsch abgezählten Schrauben, in Plastik verschweißt. Hat man noch weitere Klischees auf Lager? Guten Tag Herr Studienrat, auch im geliehenen Passat unterwegs? Grinsend betritt man die Horrorhallen des möblierten Wahnsinns.

Am Eingang drängen sich einem die unsäglichen Bleistifte auf. Man kann sich jedoch darauf besinnen, daß diese Dinger mit knüppelharten Minen ausgestattet sind. Gerade so, daß sie sich zum Schreiben nicht eignen. Da man höchstens Papier in Form alter Kassenzettel bei sich führt, denen diese Stifte umgehend den Garaus machen würden, greift man nicht zu. Plötzlich hat man es dann doch eilig, aus dem Gruselkabinett so schnell wie möglich wieder heraus zu kommen. Abkürzungen gibt es bei IKEA nicht. Man wird durch Wohnwelten geschlängelt. Das Prinzip des Mitnehm-Ramschs, wie kurz vor der Kasse bei Plus, greift hier überall. Der Kunde muß sich alles anschauen, alles gesehen haben, am aller besten auch alles kaufen. In der Ecke auf der Plüschcouch zwei aparte Noch-nicht-ganz-Studentinnen, richten sich womöglich ihre neu gegründete WG ein, kleiner Tiger und kleiner Bär brauchen ein Sofa, Papi bezahlt. Man ahnt das Zerwürfnis nach spätestens zwei Semestern Zusammenwohnens. Eine geht wahrscheinlich auf Auslandssemester nach Timbuktu, nimmt das inzwischen fleckige und mit Brandlöchern übersäte Sofa trotzdem – und aus Prinzip – mit, die andere holt sich einen vollgepissten Teppich auf dem Trödel und stellt eine Teekiste in dessen Mitte, auf diese wiederum einen unförmigen Kerzenständer mit dazu passendem Stummel. Wir wissen alle, wie so etwas endet.

Schleunigst bewegt man sich weiter in die vorgegebene Richtung, in der man die blöde Vitrine erwartet. Stattdessen überall Apple Macintosh Computer, hier hat man ganz offensichtlich am falschen Gegenstand rumdesignt. Schließlich ruft man auch nicht eine Horde kettenrauchender Industriedesigner zusammen an einen Brainstorming-Tisch, wenn man ein Kohlekraftwerk bauen will. Naja, diese kleinen Buntplastikklumpen rechnen ja auch nur vor sich hin. Auf den IKEA-Vorzeige-imacs klebt jedenfalls je ein Schild mit der Aufschrift „nicht funktionsfähig“. Dieser Ansicht war man schon seit längerem.[…]

Drüben irgendwo steht die gesuchte Virtine, die ganz anders heißt, als man dachte. Man überprüft den Preis und bemüht sich, schleunigst Richtung Lager zu gelangen. Kurz vor der Treppe, die einen ins Kochtopf- und Badezimmerlampeninferno führen soll, reagiert jedoch eine Bande naseweiser Jungmeschen ihren Einkaufsfrust an den mittlerweile kreuz und quer herumliegenden Kinderzimmereinrichtungsgegenständen ab. Die dicke Mutter streitet mit dem noch dickeren Vater in der Küchenabteilung über Ceranfelder. Im einzigen Kaufhaus auf der Welt, in dem man die großartige Möglichkeit hat, sich der Blagen zu entledigen, indem man diese in einem Meer aus Plastikbällen ersäuft, schleifen diese Gehirnamputierten ihre Quälgeister mit sich durch das Labyrinth aus Sperrmüll im Vorstadium.

Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und man selber schon zwischen den riesigen Regalreihen, die ganze Wohnungen, zusammengelegt in unhandlichen Pappkartons, beheimaten. Hier kurven Unmengen von Smartfahrern mit Einkaufswagen durch die Gegend, die so weit und voll beladen sind, daß man diese im öffentlichen Straßenverkehr nur mit Sondergenehmigung bewegen dürfte. Es kommt einem so vor, als es ob die Hälfte dieser Lenkversager nur darauf abgesehen hätte, einem mit der scharfen Kante ihres „Ivar“ die Kniescheiben zu amputieren. Irgendetwas ist falsch. Selbst hat man keinen dieser Mördereinkaufswagen und weiß auch gar nicht, wie man seine Vitrine in den Regalen finden soll, weil man sich die Lagernummer nicht gemerkt hat. „Anarchie“ spukt es im Kopf und so kehrt man um, widersetzt sich dem vorgegebenen Schlängelpfad und geht diesem nun entgegen.

Fehler. Für solche Aktionen ist die IKEA-Dimension einfach nicht ausgelegt. Auslagen und Knüpfteppiche und Thermoskannen und Bastdings und Kieferdangs und Plunder kommen falsch herum auf einen zugeflogen, die Menschen gehen rückwärts und tragen ihre Hüte an den Füßen. Die rebellischen Kinder stehen plötzlich nicht mehr im Weg, ihre Eltern haben schon immer ein Ceranfeld besessen, die zänkischen Studentinnen vertragen sich in ihrer WG auf Rattansesseln. Plötzlich taucht Benno auf, dein guter Freund, die Kiefervitrine und schreibt dir seine Regalnummer mit weichem Bleistift auf dicke Pappe.

So endet der Ausflug in eine andere Dimension zwischen Billyregalen in Weiß und oder Buche – man reiht sich wieder ein in den unaufhaltsamen Strom der Studienräte, greift sich schließlich auch einen dieser unsäglichen Einkaufswagen, hievt ein Paket Benno aus dem Lager und verschwindet auf Nimmerwiedersehen in einer der Reihen vor den Kassen. Erst am Kofferraum seines Kleinwagens wird man sich seiner Situation wieder richtig gewahr. Etwas benommen läd man Benno durch das Faltdach ein, stopft eine Rockmusik-Kassette ins Autoradio und versucht, nicht an dem Gedanken zu verzweifeln, daß man sich nun bei knallender Mittagssonne durch die grau versmokte Innenstadt zurück nach Hause quälen muß.

Fast hättest du mich gehabt, IKEA! Viel hat nicht mehr gefehlt, dann hätte ich sogar eine Tüte Teelichter gekauft.

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Der Mann der immer Hunger hatte

Es war einmal ein mann, der hatte immer hunger.
„Ich habe hunger“, sagte er zu seiner frau. Aber die zuckte nur mit den achseln.

Eines tages war die frau mit ihrer geduld am ende.

„Ich habe hunger“, sagte der mann.

„Vielleicht solltest du zum arzt gehen, mann, wenn du immer hunger hast“, sagte die frau.

„Ich habe hunger“, sagte der mann zum arzt, der in seinem weissen kittel hinter seinem grossen, schwarzen schreibtisch sass.
„Hmmm“, sagte der arzt, legte den kopf schief und strich sich über den bart.
„Hmmm. Hunger sagen sie?“

Wieder strich sich der arzt über den bart, wieder „Hmmm“.

„Vielleicht sollten sie mal was essen“, sagte der arzt.
Der mann sah den arzt verständnislos an.

„Was ist das, essen?“, fragte der mann.

Und der arzt erklärte es ihm.