Unser Advent 17

Die Siebenzeilenmeldung, dass die Gewerkschaft ver.di wieder mal streikt, hatte ich als stark linksalternativer und stark kurzsichtiger Leser der taz einfach übersehen und mich stattdessen an Jan Ullrichs Artikel „Meine Zeit mit Halle Berry“ erfreut.

Hätte ich gewusst, dass die städtischen Verkehrsbetriebe in Freiburg zwischen 4 und 8 Uhr morgens streiken, hätte ich mein klappriges Damen-Fahrrad aufgepumpt und wäre damit „wie der Wind“ zur VHS geeilt. Tatsächlich stand ich um 6.45 Uhr wie „Falschgeld“ oder „bestellt und nicht abgeholt“ an der Straßenbahnhaltestelle und wartete und wartete und wartete und erfreute mich am Anblick der Weihnachtsbäume, die irgendein armer Mitarbeiter hoch oben auf dem Dach der Brauerei Ganter aufgestellt hat. Und irgendwann dämmerte es mir doch: „Da war doch was mit drei Prozent und Westen aus Müllsäcken in Signalfarben.“

Hätten die Verkehrsbetriebe nicht gestreikt, wäre auch die über 70 Jahre alte und 1,52 Meter große VHS-Putzfrau zur Arbeit gekommen. Dann hätte sie einen Zettel in ihrer Putzkammer gefunden, mit dem Hinweis der Verwaltungschefin, doch bitte den Taubendreck am Hintereingang zu entfernen. Weil die Verkehrsbetriebe streikten, konnte die Putzfrau aber nicht kommen und sah so auch nicht den Zettel, so dass schließlich um 7.45 Uhr die Verwaltungschefin an der Tür der Hausmeisterbutze klopfte. Statt der Putzfrau wurde nun ich aufgefordert, den Taubendreck wegzumachen, was meine Laune nicht verbessert hat.

Hätten die Verkehrsbetriebe nicht gestreikt, wäre auch die Putzfrau vom Nebengebäude gekommen, hätte geputzt, gesaugt und die Mülleimer ausgeleert, die Türen auf den beiden Etagen aufgeschlossen und mir damit lästige Arbeit erspart. Denn immerhin sind es fünf Minuten Fußweg vom Hauptgebäude zum Nebengebäude. Weil aber die Verkehrsbetriebe streikten, kam auch die Putzfrau des Nebengebäudes nicht und machte auch die Türen nicht auf. Während ich den Taubendreck wegmachte, hätten im Nebengebäude die „Sprachkurse für FrühaufsteherInnen“ beginnen sollen. Da aber die Putzfrau des Nebengebäudes aus den gleichen Gründen wie die Putzfrau des Hauptgebäudes nicht zur Arbeit erschien, waren die Türen verschlossen. Was ich nicht bedacht hatte.

Als ich gegen 8.30 Uhr nach Entfernen des Taubendrecks am Hintereingang des Hauptgebäudes routinemäßig meinen Gang zum Nebengebäude antrat, kamen mir ganz aufgeregt die Leiterinnen der Kurse „Englisch für FrühaufsteherInnen“, „Spanisch für FrühaufsteherInnen“ und „Italienisch für FrühaufsteherInnen I “ und „Italienisch für FrühaufsteherInnen II“ entgegen, die allesamt – so will es das Schicksal – nicht vom Streik betroffen waren und seit einer halben Stunde vor verschlossenen Türen standen. Genau wie die KursteilnehmerInnen, die müde auf der Treppe saßen und mit ansahen, wie ich von den Kursleiterinnen angekeift wurde.

Zum guten Schluss kam auch noch die Verwaltungschefin hinzu und hielt mir vor, dass ich den Taubendreck ruhig mit etwas mehr Elan hätte entfernen können. Danke ver.di, danke taz!

Veröffentlicht unter 2002

Unser Advent (16)

Das bisher schönste Adventspräsent bekam ich heute Morgen von der geehrten Rheinbahn, in Form eines tollen Streiks. Mit grossem Vergnügen erinnere ich mich an den letzten Rheinbahn-Streik – aber der war auch im Sommer! Hätte mir gestern jemand gesagt, es würde der Tag kommen, an dem ich es bereue, nicht die Bildzeitung gelesen zu haben, ich hätte ihm lachend die Tür gewiesen. Heute bin ich klüger. Als Abonnent der „Rheinischen Post“ („Was ist schwarz, liegt auf der Treppe und lügt…“) habe ich offenbar kein Anrecht darauf, zu erfahren, dass ich heute besser zehn Stunden früher losgehen sollte.

Der damit verbundene einstündige Fussmarsch durch unsere schöne Landeshauptstadt hatte allerdings auch seine Lichtmomente. Auf Höhe des U-Bahnhofes Oststrasse kam mir eine adrette junge Dame entgegen. Flugs nahte auch schon ein (nicht mehr ganz so junger) Prolet auf dem obligatorischen Mountainbike, musterte die Blondine von oben bis unten und rief dann: „Ey! Ficken?“ Drei Sekunden später wurde ich von einer ca. 143cm grossen Japanerin über den Haufen gerannt.

All das wäre mir entgangen, wenn ich meine Zeit lediglich in schnöden Bussen und Bahnen dahindämmernd vergeudet hätte, anstatt sehenden Auges und mit offenen Ohren durch unser schönes Düsseldorf zu flanieren. Dann wäre mir auch dieses zauberhafte Teenagergespräch entgangen, dessen absoluten Höhepunkt ich hier wiedergeben möchte:

„Ey, Du kennst doch die Marion oder so!?“

Veröffentlicht unter 2002

Unser Advent 15

Heute versucht keines der mit bunten Wollschals behängten Kinder, die Teiche im Park der Universität zu Fuß zu überschreiten. Kein Wunder: sie sind nicht mehr zugefroren. Wenn man mich fragt, wäre zwar jetzt ein besserer Zeitpunkt, um auf den Teichen Schlittschuh zu fahren, weil weniger gefährlich, aber mich fragt ja keiner.

Ein laues Lüftchen weht die Weihnachtsvorfreude hinweg wie ein achtlos dahingeworfenes Zelophantütchen. Ich folge inzwischen auch der Anweisung meines Linguistik-Professors, der nebenbei bemerkte, man könne sich das ganze Fest einfach dadurch versauen, indem man sich für „die Tage zwischen den Tagen“ zu erledigen vornimmt, wozu man im vergangenen Jahr nicht gekommen ist. Neulich bin ich nachts um zwei aufgewacht, quer durchs Zimmer zu meinem Taschenkalender gekrochen, habe mit dem beiliegenden Kuli „Finanzamt!“ eingetragen, bin wieder zurückgekrochen und habe dann stundenlang wachgelegen.

Ob die Teiche in der Schweiz jetzt dick zugefroren und mit weihnachtsvorfreudigen Kindern bestückt sind? Jaja, Herr von Stuckrad-Barre, Sie haben es leicht. Einfach in die Schweiz zu ziehen, tricky! Da erspart man sich das lästige Nummernkontoauflösen. Ich hingegen muß zum Finanzamt, welches vierundzwanzig Stunden am Tag geschlossen ist.

Auf den Internetseiten der Stadt Trier suchte ich die Ämter ab, das Finanzamt war nicht dabei. Als ich in der A-Z-Liste nachschauen wollte, zeigte mir der Rechner sein Unbehagen, indem er seinen Dienst komplett einstellte. Aha, dachte ich, der will also genausowenig zum Finanzamt wie ich. Beim zweiten Anlauf fand ich dann den Vordruck „Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung zur Steuerfreistellung des Arbeitslohnes für ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis“. Ärgerlich nur, daß ich mich jetzt doch noch zum Finanzamt
quälen muß, um den ausgefüllten Wisch abzugeben. Der große Vorteil ist, daß ich den Zettel jetzt nicht mehr im Finanzamt im Flur auf dem Boden knieend ausfüllen muß, wie sonst. Dabei werde ich nämlich immer in Versuchung geführt, den Vordruck gar zu patzig auszufüllen:

„Ich habe im Kalenderjahr 2003 voraussichtlich folgende andere Einkünfte“ – „Das weiß
ich jetzt doch noch nicht, ihr Deppen“. Auf so etwas sollte man vielleicht wirklich verzichten, oder gleich in die Schweiz ziehen, um sich das Steißbein beim Überschreiten eines zugefrorenen Sees zu brechen.

Veröffentlicht unter 2002

Unser Advent 14

Dass wir den dritten Advent haben, merke ich schon morgens auf dem Weg zum Zeitungkaufen: eine ältere Frau auf der gegenüberliegenden Straßenseite stößt seltsame Kehllaute aus. Sie ist alleine, läuft ziemlich schnell in stark gebückter Hatung die Straße herunter. Als sie merkt, dass ich sie anstarre, hält sie kurz inne und brüllt dann: „Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen.“

Ich winke und schäme mich ein bisschen, weil ich diese Frau noch nie gesehen habe, es noch fast dunkel ist und uns bestimmt alle Anwohner gehört haben. Auch wenn ich in einem Stadtteil lebe, in dem 60 Prozent die Grünen wählen und somit Pseudo-Toleranz und der Spirit des Gutmensch-Seins als geballte Masse durch die Straßen wabert und fast körperlich zu spüren ist, heißt das nicht, dass die Leute am Sonntag nicht auspennen wollen. „Eine schöne Adventszeit, eine schöne Adventszeit“, schreit die Frau aus Leibeskräften. „Das wünsche ich Ihnen auch“, sage ich gedämpft und mache ganz schnell, dass ich weiterkomme. Wieder einmal habe ich den Eindruck, dass ich schon viel zu lange in dieser Stadt bin.

Benjamin von Stuckrad-Barre – der hat es richtig gemacht. Während in Deutschland die Wirtschaft am Boden liegt und die Regierung kopflos agiert, bekam er einen Redakteurs-Posten bei der Schweizer Weltwoche angeboten und ist flugs nach Zürich umgezogen. Raus aus dem bundesdeutschen Chaos, rein in die eidgenössische Gemütlichkeit. Das Ergebnis kann man jetzt in der aktuellen Nummer 50 der Wochenzeitung sehen: Ein Artikel über Paola und Kurt Felix, vor dem ich symbolisch und voller Neid meinen Hut ziehen möchte. Stuckrad, der im Impressum den Solo-Status „Autor im Exil“ hat, versteht es irgendwie, Themen und Leute auszusuchen, die alle einen gewissen Ekelstatus haben. Er findet auch immer welche, obwohl bekannt sein dürfte, dass man über 80 Prozent seiner Reportagen „Verriss“ schreiben könnte.

Paola und Kurt lassen Benjamin auf einen Tagestripp nach Hamburg zur Aufzeichnung der „Johannes B. Kerner-Show“ mitreisen. Vorher geht’s zum Mittagessen mit ihrem alten Freund Karl Dall. „Felix erzählt wieder ein paar Filme. Er macht zwischendurch auch unglaublich schlechte Witze, und obwohl alle mitleidig dem irritierten bis gelangweilten Schweigen ein wenig von seiner Eindeutigkeitswucht nehmen wollen, mit Themenwechsel oder Instantschmunzeln, bringt Felix den schon früh aus der Kurve getragenen geplanten Witz rücksichtslos in voller Länge, bis zur überschätzten Pointe“, schreibt der Jungredakteur über Kurt, dem an dieser Stelle bereits zum zweiten oder dritten Mal die Zeitung aus der Hand gefallen sein dürfte.

„Jahrelanges Training hat Paola und Kurt Felix darauf konditioniert, ihr Dialogniveau asymptotisch dem Nichts anzunähern, immer bemüht, uneingeschränkt Mehrzweckhallen-verständlich zu bleiben, guten Abend Böblingen, es ist wunderbar wieder hier zu sein, in Böblingen. (…) Böblingen ist überall. Man sitzt ihnen gegenüber und wird ein Teil von Böblingen. Und ganz ehrlich: Es gibt weniger behagliche Gefühle, ja“, formuliert sich Stuckrad wunderbar an der Beleidigung vorbei. Mach weiter so, Benjamin. Und bleib ruhig noch ein Weilchen in der Schweiz. Hier verpasst Du nichts.

Veröffentlicht unter 2002

Unser Advent 13

Mein Impuls „Weihnachten = Plätzenbacken“ wird von Jahr zu Jahr schwächer. Vor drei Jahren habe ich mit Zimtsternen angefangen, im darauffolgenden Jahr gab es Vanille-Kipferl, die nicht wie Vanille-Kipferl aussahen, aber fast so schmeckten, vergangenes Weihnachten nur noch Ausstecher-Kekse, die keinem geschmeckt haben, inklusive mir. Dass der Antrieb schwächer wird, hat zwei Gründe: a) der nicht unbeträchtliche zeitliche Aufwand, b) die nicht unbeträchtliche Schweinerei in der Küche, die man später wieder wegputzen muss. Darüber hinaus habe ich in der Vorweihnachtszeit bereits soviel Süßkram, verspeist, dass mir beim bloßen Anblick von Spekulatius und Dominosteinen der Magen grummelt.

Okay, man muss die Plätzchen ja nicht essen. Und wenn man sich wie ich die Wohnung mit einem Sozialpädagogen und einem Waldorfschüler teilt, gehören gemeinsame WG-Aktionen irgendwie zum Pflichtprogramm. Das fördert das Gemeinschaftsgefühl und kommt total gut bei Frauen an, sagt der Sozialpädagoge. Und außerdem habe ich Hunger, sagt der Waldorfschüler, der immer Hunger hat. Und auch mir als Altlinkem mit Arbeitervergangenheit wurde es warm ums Herz: „Oh Du fröhliche, oh Du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“, sang ich fröhlich vor mich hin und entkorkte die erste Flasche Spätburgunder.

Wenn man alle Zutaten beisammen hat, ist die größte Schwierigkeit, nicht doch die Lust an der Backerei zu verlieren. Das ist vor allem dann der Fall, wenn man sich das zweite Glas Rotwein bereits vor dem ersten Arbeitsschritt hinter die Binde kippt. Das gilt übrigens auch für das Schreiben von Kinderfresser-Texten. Aber wofür hat man die Mitbewohner, die schon mal mit Rühren und Kneten anfangen während ich versuche, den Tisch zu säubern, auf dem gleich der Teig ausgerollt werden soll. Dabei finde ich in der Saplte, an der der Tisch aufgeklappt wird noch etwas, was aussieht, wie das Mehl vom vergangenen Winter, dazu diverse Wachsreste (Geburtstagsfeier im Sommer). Außerdem muss an der Unterseite des Tisches irgendjemand seine Kippe ausgedrückt haben, was beim Teigausrollen (mangels Nudelholz mit der mittlerweile leeren Spätburgunder-Pulle) nicht weiter stört.

Nachdem der Waldorfschüler sich beschwert hat, dass die Eier, die ich gekauft habe, nicht aus Freilandhaltung stammen, ist die erste Krise der Weihnachtsbäckerei da. Die Krise ist nach dem nächsten Glas Rotwein schnell wieder vergessen, und mittlerweile habe ich die Ausstecher-Formen gefunden, abgestaubt und wieder richtig zusammengebogen. Der Ofen glüht bereits, derweil der Sozialpädaoge noch jedes einzelne Plätzchen bunt gestalten möchte. Die nächste Krise ist da, weil sich der Waldorfschüler beschwert, dass die von mir gekauften bunten Kügelchen zum Belegen Farbstoffe und Konservierungsmittel enthalten. Die Krise wird nach oben aufgeführten Schema friedlich beigelegt.

Irgendwann sind die Plätzchen fertig, und wie immer hat keiner mehr Lust die Küche zu putzen. In diesem Zusammenhang erinnert der Sozialpädagoge den Waldorfschüler daran, dass er schon vor geraumer Zeit einen Putzplan erstellen wollte. Wir verständingen uns darauf, dass auf jeden Fall rechtzeitig bevor die WG-Mitglieder Richtung Heimat aufbrechen, die Küche wieder blinken muss, bis dem Sozialpädagogen einfällt, dass er die Woche noch ein Mädel zum „Adventskaffee“ eingeladen hat. Sein Problem, denken der Waldorfschüler und ich und stoßen noch einmal an.

Veröffentlicht unter 2002

Unser Advent 12

„This is David Bowie. It`s Christmas 1984 and there are more starving folks…”, schnarrt es aus dem Radiowecker. Ja, wäre es mal noch 1984. Dann wäre ich sechs Jahre alt und mein einziges Problem wäre wahrscheinlich, dass ich nicht weiß, was ich dieses Jahr vom Weihnachtsmann bekomme.

Nein, es ist nicht 1984, sondern der 13. Dezember 2002, 5.30 Uhr. Es ist kalt, es ist richtig kalt, ich muss arbeiten, und ich habe mal richtig keinen Bock. Wie kalt es ist, merke ich ganz schnell: Ich sehe meinen Atem im Treppenhaus; bis ich den Heizlüfter einschalte, sehe ich ihn auch im Bad; und es dauert geschätzte zwei Minuten, bis das Duschwasser vom einen Stock tiefer liegenden Boiler eine halbwegs annehmbare Temperatur hat.

Für mich als langjährigen Abonnenten des Bayernkuriers sind das nur Metaphern für die düstere Lage in Deutschland, die soziale Kälte des Gesundheitssystems, den frostigen Winter der Konjunktur. „Schröder hat sich mit seiner Art von Politik an Deutschland versündigt, wie dies beispiellos ist in der bundesdeutschen Geschichte. Den wahren Schaden werden wir noch zu spüren bekommen. Das aktuelle Dilemma scheint kaum lösbar“, schreibt Chefredakteur Peter Schmalz in der aktuellen Ausgabe. Schmalz, der ohne weiteres als Oberhetzer beim Landser oder der Nationalzeitung anfangen könnte, macht seinem Namen alle Ehre. Dann nämlich, wenn er seinen Herausgeber Edmund Stoiber interviewen darf. Da dreht sich selbst mir als wertkonservativem Fördermitglied der CSU der Magen um.

Es bleibt keine Zeit für weitere Zeitungslektüre und noch nicht einmal dafür, in meinen tollen Adventskalender zu gucken. Auf geht’s durch den Frost zur Straßenbahn, in der es schon am frühen Morgen nach Leberwurst und billigem Rasierwasser riecht. Die über 70 Jahre alte und 1,52 Meter große Putzfrau der VHS empfängt mich mit der üblichen Schimpfkanonade, von der ich nur die Hälfte verstehe. Sie zerrt mich zum Christbaum, der im Foyer aufgebaut ist, packt mit ihren Gummihandschuhen an den Stamm und rüttelt heftig. Der Boden rings um den Tannenbaum ist so stark mit Nadeln bedeckt, dass es wie dichter, grüner Teppich aussieht. Und nachdem die Putzfrau den Baum traktiert hat, sind auch noch die letzten losen Nadeln herabgerieselt. Die anhaltende Schimpfkanonade soll wohl folgendes bedeuten: Weil die Stadt so einen alten Baum geliefert hat, muss sie jetzt jeden Tag die Nadeln wegfegen, was eine ziemliche Sauerei ist, weil die Nadeln durch den täglichen Publikumsverkehr mittlerweile im ganzen Haus verteilt liegen.

Eine Stunde später – nachdem sich auch der Chef beschwert hat – schmücke ich das kahle Gerippe ab, zersäge es, damit es in die blaue Mülltüte reinpasst, fege die allerallerletzten Tannennadeln zusammen und stelle die Tüte in den Hof. Und das alles elf Tage vor dem heiligen Fest.

Veröffentlicht unter 2002

Unser Advent 11

Oh je, jetzt steht doch mein Name da oben. Dabei wollte ich anonym bleiben. Man weiß ja nie. Insbesondere zu Weihnachten darf man sich verfolgt fühlen: Wie wir alle wissen, ist „Kinderfresser“ nur der Deckname von Knecht Ruprecht, der alle bösen Kinder in den Sack steckt.

Infos hier…

Zwar hab ich den St. Nikolaustag einigermaßen gut überlebt, zumindest ohne in einen Sack gesteckt zu werden, da aber der Weihnachtsmann auch nur ein profanisierter Nikolaus ist, kommt dieser also an Heiligabend nochmal zurück. Danke, liebe Hersteller der koffeinierten Brause. Früher brauchte man sich nur einmal fürchten, heute darf man sich berechtigte Sorgen machen, am 6.12. nur vergessen worden zu sein.

Um nicht weiter negativ aufzufallen, geh ich nun besser in den Untergrund. Denn was liegt näher, als daß der gute alte Knecht Ruprecht mal auf seiner eigenen Homepage nachschaut, wer sich da so unberechtigt tummelt und diese bösen Kinder dann in den Sack steckt?

Oh je, das wird eine lange Zeit bis Weihnachten, tief unten im See, durch einen Schilfhalm atmend… Dann tauch ich mal ab.

Veröffentlicht unter 2002

Unser Advent 10

Neulich hab ich mich dabei ertappt, wie ich Sonntag abends während Sabine Christiansen ein Buch gelesen hab und nur ab und an die Zeilen Zeilen sein ließ, um auf den Fernseher zu schauen. Und zwar immer nur dann, wenn Frau Christiansen ihren Gästen unbequeme Zwischenfragen stellte:“Aber ist es nicht so…“, „Vor nicht mal einem Jahr sagten Sie doch…“, „Hat ihre Partei nicht aber…“ – so in dem Stil, man kennt das.

Die Hahnenkämpfe der Politiker zwischendurch veranlassten mich dazu, mich immer wieder meiner Lektüre zu widmen. Warum schau ich mir diese Sendung überhaupt noch an? Vielleicht warte ich darauf, daß irgendwer in der Runde einmal klipp und klar sagt: „Da kann die Politik doch eh nichts machen und wir Politiker müssen schließlich trotzdem unsere Machtpositionen sichern – irgendwie muß man ja sein Geld verdienen.“

Viel interessanter als Sabine Christiansen war dagegen das Gespräch, welches ich neulich in einem Cafe belauschte. Offensichtlich hatten einige ausländische Studierende, eigentlich, um Deutsch zu lernen, aber aus pädagogischen Gründen der Aktualität des Tagesgeschehens verbunden, die Aufgabe bekommen, über die Geschehnisse in der Politik referieren zu können. Ein deutschsprachiger Tutor fragte gerade eine italienische Studentin nach dem Finanzminister: „Eichert? Ebert?“ – „Eichel“ – „ach so, O.K.“ In der Gruppe entfachten kleine Gespräche. Es ist erstaunlich, wie sehr Tacheles geredet wird, wenn sich Leute über die deutsche Politik unterhalten, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und die sich, auch gerade deswegen, möglichst kurz fassen wollen: „Der Finanzminister ist Eichel, Deutschland hat Schulden, kein Geld, weil es gibt mehr aus, als hereinkommt, Schröder hat gelogen, weil er sagt, Deutschland hat wenige Schulden, vor der Wahl.“

Veröffentlicht unter 2002

Unser Advent 9

Britzel bratzel blitzer blink – so sieht eine ordentliche Innenstadt zur Adventszeit aus. Alle Straßenzüge gehören mit Lichterketten behängt, damit die in ihnen herumirrenden Passanten nicht zwischen Oberhemdenkaufen und Bratwurstessen depressiv werden, nur deshalb, weil sich schon so unverschämt früh die Dunkelheit ihren Weg durch die kopfsteinbepflasterten Gassen bahnt. Der Spaßverderber in mir schreit noch abgehackte Sätze ins Nichts, die irgendetwas mit Stromverschwendung zu tun haben, während ich das Lichtermeer generell begrüße.

In der Glühbirnenflut gehen nur leider gelegentlich wichtige Informationen verloren: Das Parkleitsystem, welches nicht nur im Advent vor sich hin leuchtet, sondern seinen Dienst geflissentlich das ganze Jahr hindurch verrichtet, droht im allgemeinen Gefunkel schier unterzugehen. Neulich zeigte eine dieser hilfreichen Instrumente für das nächstgelegene Parkhaus eine „Eins“. Ich stutzte, während ein von mir imaginierter Optimist freudig in seinem Auto das Gaspedal trat, um diesen einen, letzten Parkplatz zu erheischen.

Realitätsnäher wäre es, anzunehmen, daß bei Ankunft an jenem Parkhaus sich davor schon eine beträchtliche Autoschlange angesammelt hat, die Fahrer alle auf den einen Parkplatz erpicht.

Mir konnte es „wurst“ sein, da gerade dem ÖPNV entstiegen und nun auf Schusters Rappen unterwegs (versehentlich tippte ich hier zunächst „Pappen“ statt „Rappen“, was bei genauerer Betrachtung der Qualität meiner Schuhe diesen eher gerecht worden wäre – das nur nebenbei).

War dies der Unterschied zwischen einer positiven und einer negativen Lebenseinstellung? Ärgern sich negativ eingestellte Menschen über einstellige Zahlen auf den Anzeigen des Parkleitsystems? Oder treffen sich diese Leute an einem Samstag Nachmittag auf dem Weihnachtsmarkt, um mit grantigen Gesichtern und einem Glühwein in der Gegend herumzustehen und mir den Weg zu versperren?

Die Schlechtgelaunten stehen einfach nur da, die Fröhlichen schlendern um diese herum, alle zusammen bilden einen Menschenpfropf, der die Innenstadt verstopft und mich daran hindert, möglichst schnell von Punkt A zu Punkt B zu gelangen. Punkt A ist naß, eiskalt und draußen, Punkt B ist trocken, geheizt und meine Wohnung.

Man trinkt besser zuhause eine Tasse Kaffee, als draußen naßkalt und grantig einen Glühwein. Vielleicht sollte ich mir eine Lichterkette kaufen und mir meine eigene Innenstadt-Festbeleuchtung zaubern – es fehlt lediglich in meiner Küche das passende Parkleitsystem.

Schade.

Veröffentlicht unter 2002

Unser Advent 8

Zickezacke Hühnerkacke

Loriot

Für mich als Bruder im Geiste Joschka Fischers sind es schwierige Zeiten. Der Ortsverband will nicht so, wie ich es will. Die Freiburger Parteibasis ist halt eine der letzten Bastionen grüner Politik, wie sie in den 80ern gemacht wurde. Problem: Wir haben das Jahr 2002, und Rübenbärte und Kratzepullis sind einfach unsexy.

„Kommt, die Zeiten der Trennung von Amt und Mandat sind vorbei. Wir haben es doch vor Bundestagswahl gesehen: Joschka, Joschka, Joschka und nochmals Joschka. Und kein anderer, der die Klappe aufreisst. So holt man Wählerstimmen und nicht anders“, hatte ich bei der letzten Ortsvereinssitzung gesagt, bevor die Abordnung zum Parteitag nach Hannover aufbrach. „Bei der Bundestagswahl hat es doch geklappt. Der Fritz und die Claudia haben doch ihre Sache halbwegs ordentlich gemacht.“

„Quatsch“, rief der Freiburger Oberfundi, einer von denen, die den Schuss noch nicht gehört haben, und raufte sich die verfilzten Haare. So reiste der Oberfundi mit seiner Oberfundi-Abordnung nach Hannover.

Und während sich die Grünen die Nacht mit der Frage der Trennung von Amt und Mandat um die Ohren schlugen lief mein Wochenend-Date nicht ganz so ab, wie ich es mir vorgestellt habe.

Um ehrlich zu sein: Es lief alles schief, was schief laufen konnte. Das ging schon vor ein paar Wochen los: Ich kaufte Karten für das Tanztheater am 7. Dezember. Der Mensch am Vorverkaufsschalter war sehr freundlich, zeigte mir den noch sehr bunten Monitor mit vielen freien Plätzen. Ich suchte mir zu günstigen Stundententarifen zwei Plätze im hinteren Parkett, Mitte aus. Das wird bestimmt nett, dachte ich mir.

Als ich mir vor einer Woche die Karten genauer anschaute, stand da nichts vom „7. Dezember, 19.30 Uhr“, sondern „21. November, 19.30 Uhr“. Und das dick und fett und ohne Zweifel, auch wenn es spät am Abend war.

„Das ist ihr Problem, wenn sie nicht sofort nach dem Kauf auf die Karten gucken“, sagte mir der Vorverkaufsmensch am nächsten Morgen ungerührt, „Der Fehler liegt bei Ihnen.“ Der Fehler lag dann doch beim Vorverkaufsmenschen, nachdem ich den Geschäftsstellen-Leiter gerufen hatte.

Da Freiburger Tanztheater hingegen aller Tocotronic-Liedtexte mit sinkenden Zuschauerzahlen konfrontiert sind, gab es dann doch noch Karten für den Dezembertermin. Kurz: Alles hätte gut werden können, wenn nicht ausgerechnet auf den Plätzen, die ich erstanden hatte, der Tontechniker sein Mischpult aufgebaut hätte. „Ach, haben die die Plätze schon wieder verkauft?“, fragte der Tontechniker uninteressiert. Und so fanden wir doch noch Plätze, und zwar hintereinander, und nicht nebeneinander.

Wenigstens das übliche „Wollen wir noch was trinken?“ hätte nett werden können, wäre nicht rein zufällig ihre beste Freundin aufgetaucht, die leider nur Karten für den Rang bekommen hatte. Es wurde ein netter Abend mit den beiden Mädels, die sich ziemlich viel zu erzählen hatten, während ich mir aus Frust eine Schachtel Luckys kaufte.

Den Rest der Schachtel habe ich dann noch den Mädels geschenkt, damit ich bloß nicht in Versuchung geführt werde und bin dann irgendwann nach Mitternacht nach Hause, während sich die Mädels noch soviel zu erzählen hatten.

„Scheiß Doppelspitze“, dachte ich bei mir und ärgerte mich über meinen Kinderüberraschungs-Kalender, in dem schon wieder drei Kinderschoko-Bons steckten.

Veröffentlicht unter 2002