Die Lange Nacht der Museen oder wie mir Arte ein wenig zu nahe kam

Die Museumsinsel sieht aus wie eine Goebbels-Inszenierung. Riesige Lichtsäulen schiessen in den Himmel und scheinen den Rest der Welt zu bedeuten, Berlin: Hurra, wir leben noch! Von irgendwoher hört man digital erzeugtes Vogelgezwitscher. Bildende Kunst. Es ist die Lange Nacht der Museen. So geschehen gestern Abend und meine Freundin an meiner Seite, wir beide mittendrin. Zu allererst mal zum Checkpoint Charlie. Touristen gucken. Hier sieht man sie alle: Schulklassen, Zonen-Gabis, Besser-Wessis, IM Christians, James Bonds und natürlich die vier Alliierten in Form von meist gutbeleibten Erlebnisspannern und anstatt mit AK-47 oder M-16, bewaffnet mit Nikon, Sony oder Fuji. Schließlich möchte man wissen, wohin Papa immer gefahren ist, in seiner Uniform oder selbst überprüfen ob man sich, hoffentlich nicht, auf irgendein Foto wieder erkennt.

Als Ex-DDR-Kindergarteninsasse sehe ich mir die Bilder mit einem Gefühl von Betroffenheit und seltsamer Zurückhaltung an. Irgendwie fühle ich mich, als schaue ich im Naturkundemuseum auf einen ausgestorbenen Dinosaurier, bloß unbedeutend klein und fürs Gesamtkonzept unwichtig, ich mittendrin als Knorpelstückchen. Nach einem Rundgang, vorbei an Videoinstallationen, Einzelgeschichten und drapierten Fluchtwerkzeugen, landet der Ausstellungsbesucher automatisch im angeschlossenen Devotionalieneinzelhandel, um dort geschichtsträchtig Mauerstückchen in der Größe einer Wallnuss oder T-Shirts zu erstehen. Von irgendetwas muss der Abriss ja rückfinanziert werden.
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Sehr schön ist der von der BVG eingerichtete Shuttleservice. Ziemlich schnell wird uns klar, warum der Fahrpreis schon mit dem Eintritt verrichtet wurde. Einzelabrechnungen der Fahrten würden mit Faustschlägen enden. Der Bus stinkt nach menschlichen Ausdünstungen, es ist zum bersten voll, wie auch zwei Drittel der Mitfahrer. Wir wollen zum Palast der Republik. Dem vom Abriss bedrohten Asbest-Referenzmodel an der Spree.

Findige Marketingstrategen und hippe Leute aus Berlin-Mitte, die in den letzten Jahren schon allen Scheiss gemacht haben, um Papas Geld, welcher dieses hart in München mit einer Schönheitsfarm erarbeitet, durch irgendwelche Projekte, möglichst mit viel Krabumm aus dem Fenster zu schmeissen, haben sich gedacht: Mensch, nennen wir das Ding doch mal für ein paar Wochen „Volkspalast“, holen damit das besagt Volk weg von der Straße, raus aus den Demos, rein in das Stahlgerippe im Betonmantel. Es riecht hier nach Gucci-Rush und man sieht sehr viele Boss-Outletstore Anzüge, darüber nichts sagende GQ-Gesichter deren einzige literarische Bildung jeden Monat die schon benannte „GQ“ und die „Fit for Fun“ sind.
An der Wand hängen Lichtspiele, die mich an „Eins, Zwei oder Drei“ erinnern, denn zum Bass eines „Kraftwerk“-Cover-DJ´s flackern die immer so schön grün auf. Das Palastinnere ist heute Nacht zum feiern da. Yes, hier wird gesteppt. In welchen Club in Mitte kann man wohl auch zurzeit so hipp posieren? Und wenn dann die Verkäuferkolleginnen im Schuhladen auf der Kastanienallee fragen, kann frau und mann dann bedeutungsschwanger und geschwelten Brust sagen: „Oh, ich war bei der Langen Nacht der Museen“ Bloß raus hier. Ich möchte auch dass er nicht abgerissen wird, aber unter den 12cm-Stöckeln, wird jede Illusion nach einer sinnvollen Nutzung totgetanzt. Das nennt man wohl Kulturschock.

Quer über die Straße, rein ins „Alte Museum/Antikensammlung“. Das von Rommel liebevoll zusammen geraubte und erbeutete Kunstgut der Antike bewundern. Mich interessiert das nicht. Alles sieht aus wie nach einem Polterabend, nur das die Scherben hier in Vitrinen liegen und die aufgestellten Figuren, Marke „David“ werden heute, besser und vor allem mit allen Extremitäten und Nasen auf Osteuropäischen Wochenmärkten zum Kauf für den Kunstorientierten Kleingartenbesitzer angeboten, der diesen dann im Handumdrehen an den Gartenschlauch anschließt, woraufhin ein nicht zu verachtender Strahl aus seinem Gasbeton-Genital plätschert.

Wir setzen uns hin. Die Füsse schmerzen, die Augen drücken. Es ist kurz vor zwei Uhr nachts. Mit einem Mal postiert sich ein junger Mann mit einer Breitbildkamera vor uns und bittet uns in die Linse zu schauen, als würden wir Kunst bewerten. Er will nur unsere Augen. Er ist von Arte. Er blickt mir mit seinem Objektiv tief in meine Seele, sieht sich in meiner Pupille. Ich bekomme eine Gänsehaut. Ich fühle mich wie die offenen „Weihenstephan“-Buttermilchbecher, die draußen kostenlos verteilt wurden: leer und benutzt.