Archiv der Kategorie: kai
Recht so, Herr Bundespräsident!
(Bildquellen: „Student shenanigans“ von Claremont Colleges Digital Library auf flickr.com unter CC-Lizenz by-nc 2.0 und „Geldscheine“ von Fundraisingnetz auf flickr.com unter CC-Lizenz by 2.0)
Echt aus … der Region!
Da schaut man mal elf Jahre nicht aus dem Fenster und dann das: Schwupps, weg isser, der Italien-Laden. Hat einfach dicht gemacht. Praktisch von heute auf morgen. Und es kommt sogar noch schlimmer. Wie ich aus halbwegs verlässlichen Quellen inzwischen erfahren musste, hat der Australien-Laden wohl im gleichen Jahr seine Pforten geschlossen, in dem auch der letzte Yahoo-Nutzer auf der Datenautobahn überfahren wurde. Tja.
Ich muss gestehen, dass ich mir eine gewisse Mitschuld gebe. Und das zu Recht, war doch mein Bedarf an teurem Schinken und bröckeligem Hartkäse nie sehr hoch. Auch das Didgeridoo hat es bis heute nicht geschafft, als Instrument in mein Hausmusikensemble aufgenommen zu werden. So, und jetzt hab‘ ich den Salat – sogar im wahrsten Sinne des Wortes, denn an der Scheibe des ehemaligen italienischen Feinkostkramers wird nun für „Das Beste aus der Region“ geworben. Die Lebensart der Mittelmeeranrainer wurde hier plump durch Grünkohl und Runkelrüben ersetzt, die fragilen Bistrotischchen von grobschlächtigen Hofladenmöbeln verdrängt. Und nebenan? Dort werden nun Erzeugnisse aus Talg und Lauge feilgeboten, schmierige Kernseifen, die ihre zweifelhafte Herkunft heute hinter Modenamen zu verstecken suchen.
Was für ein Tor war ich, den feinen Spezereien aus den fernen Paradiesen so wenig Beachtung geschenkt zu haben. Statt internationalem Flair pfeift nun ein harscher Befehlston durch die Gassen: „Auf heimischer Scholle sollst Du mit bloßen Händen nach Erdäpfeln scharren! Danach Hände waschen, ab ins Bett!“
Schlagartig wird mir auch klar, warum unsere Bundeskanzlerin „Multikulti“ für gescheitert hält, wenn sich jetzt sogar schon die Italiener weigern, unsere Innenstädte mit rot-weißen Tischdecken und korbumflochtenen, bauchigen Rotweinflaschen zu schmücken. Wo soll das bloß hinführen, wenn der Trend dahin geht, dass es bald nur noch Produkte aus Fröschen zu kaufen gibt? Ein eintönig-autarkes Angebot aus Sauerkraut, Schrott, Zeitgeist, Weltschmerz und Blitzkrieg?
Dass es so weit nicht kommen darf, wird selbst der nudelverachtendste Leser leicht einsehen. Also, liebe Kakaoschlürfer und Zuckerrohrschmatzer, lasst Euch Eure Kolonialwaren und Südfrüchte nicht nehmen!
geläutert und einsichtig: Die Lokalredaktion (also ich)
Ratten der Lüfte 2
Stille Helden: Die Rumsteher
Schlenderer, Abstopper, Bremser, Lungerer – die Gesellschaft hat inzwischen viele teils abschätzige Bezeichnungen für jene Menschen, die vermeintlich unüberlegt ausharren, wo wir nur „möglichst schnell vorbei“ wollen. Für viele sind sie ein Ärgernis, eine Randerscheinung im hektischen Alltag des öffentlichen Raumes: Die Rumsteher.
Kaum einer macht sich darüber Gedanken, welche Hingabe, welch eiserner Wille und welch präzise Vorbereitung und Ausdauer es erfordert, die höchsten Ligen des Rumstehens zu erreichen. Und doch opfern täglich tausende ihre Zeit, das Fähnchen des Rumstehens hoch zu halten, der Gesellschaft ehrenamtlich und selbstlos einen Dienst zu erweisen, ohne den ein zivilisiertes Zusammenleben fast undenkbar erscheint.
Dem Kinderfresser ist es gelungen, ein exklusives Interview mit einem dieser stillen Helden des Alltags zu führen:
KF: Herr M., sie bezeichnen sich selbst als Rumsteher. Was brachte Sie zu diesem schönen Hobby?
M: Nein, das Rumstehen ist kein Hobby, es ist vielmehr Berufung, eine Lebensanschauung. Wissen Sie, ich fühle mich einfach dazu berufen. Es gibt so viel Leid auf der Welt, da dürfen wir nicht einfach länger zuschauen, da müssen wir etwas machen, es hegen und pflegen wie ein Pflänzchen, es mehren wo auch immer möglich.
KF: Eine noble Idee! Aber wie setzen Sie diese im täglichen Leben um?
M: Nun ja, ich habe festgestellt, daß sich viele Menschen auf überfüllten Plätzen und in überheizten und mit schlechter Musik beschallten Warenhäusern unwohl fühlen. Manche haben es auch einfach eilig und wollen so schnell es eben geht einfach von A nach B.
KF: Und da greifen Sie dann ein?
M: Na ja, „eingreifen“ ist ein starkes Wort. Ich leiste eher passiven Widerstand.
KF: Indem Sie einfach so rumstehen?
M: Nein, das geht nicht „einfach so“, das verlangt schon nach präziser Vorbereitung. Ich habe z.B. festgestellt, dass sich nicht alle Rumstehorte gleich gut eignen. Und genau das unterscheidet den zufälligen Rumsteher vom, na ich möchte schon fast sagen „Profi“.
KF: Wo steht der professionelle Rumsteher denn so rum?
M: An Rolltreppen.
KF: Rolltreppen?
M: Ja, ich stehe besonders gerne – und auch sehr erfolgreich – am Ende irgendwelcher Rolltreppen rum. Also man fährt mit der Rolltreppe hoch und bleibt dann einfach stehen. Natürlich geht das nicht einfach so, man muß dabei schon blöd in die Luft und um sich herumgucken, als würde man nicht wissen, ob man im richtigen Stock ist – oder besser so, als hätte man vollständig vergessen, was man hier wollte und wer man überhaupt ist.
KF: Das reine Rumstehen genügt also nicht.
M: Ja, da ist viel Wahres dran. Eine richtige Mimik und Gestik sind unverzichtbar für ordentliches Rumstehen. Mitunter ist jahrelanges Training erforderlich, um beim Rumstehen möglichst unansprechbar und abwesend zu wirken. In engen Fußgängerpassagen oder auf Fahrradwegen, besonders gerne, wenn zusätzlich eine
Baustelle den Weg versperrt, stehe ich oft stundenlang mit dem Handy rum und tue so, als würde ich telefonieren.
KF: Hilfsmittel sind also erlaubt?
M: Aber natürlich! Nur, gewinnbringend eingesetzt müssen sie natürlich werden: Meinen Einkaufswagen entlade ich beispielsweise ausschließlich quer hinter den anderen Einkaufswagen, dort, wo sie angekettet werden. Oder man schiebt den Wagen in den Eingangsbereich. Am besten in Läden, bei denen die Räder des Einkaufswagens sofort blockieren, wenn man versucht mit ihm das Geschäft zu verlassen. Dann kann man meist so lange rumstehen, bis jemand vom Personal kommt.
KF: Oh, da verraten Sie uns aber schon die Pro-Tipps des Rumstehens, oder?
M: Ja, oder, oder zum Beispiel Regenschirme: In Ein- und Ausgängen kann man rumstehen und diese nützlichen Dinger umständlich und lange auf- und zuklappen, die vermeintlichen Regentropfen abschütteln, der Phantasie sind da kaum Grenzen gesetzt.
KF: Man merkt Ihnen Ihre Begeisterung für das Rumstehen richtig an.
M: Ich glaube, wir Rumsteher leisten da auch einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Sie müssen wissen, ich bin bei weitem nicht der einzige Rumsteher.
KF: Sie sind aber eher ein Solorumsteher, oder …?
M: Nein, ganz und gar nicht. In der Gruppe macht das Rumstehen doch erst richtig Spaß. Manchmal verabreden wir Rumsteher uns und stehen so geschickt rum, dass wir ganze Büroflure, ach, was sage ich, ganze Fußgängerzonen zustellen.
KF: Eines würde unsere Leser bestimmt noch besonders interessieren: Wo und wie stehen Sie ganz persönlich denn am liebsten rum?
M: Besonders reizvoll sind für mich Engstellen, an denen ein oder mehrere Passanten warten, bis ich diese passiert habe. Ich vermittle dann noch kurz den Eindruck, als würde ich mich beeilen, fange dann aber urplötzlich und wie aus dem Nichts an, einfach rumzustehen. Spontan-Rumstehen quasi. Dabei dann noch jeglichen Augenkontakt oder hektisch-aufgeregte Bewegungen zu vermeiden, das ist für mich die Königsdisziplin des Rumstehens.
KF: Und wenn Sie jemand bittet, aus dem Weg zu gehen?
M: Dann gucke ich zuerst möglichst blöd. Aber wenn es gar nicht anders geht, stelle ich mich halt jemand anderm in den Weg.
KF: Wir danken Ihnen für das Interview. Und natürlich für Ihr unermüdliches Rumstehen. Danke!
Wir zweifeln …
… und das nicht erst seit gestern.
- Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg
- Dr. Silvana Koch-Mehrin
- Dr. Best
- Dr. Sommer
- Der Scheiben-Doktor
- Der Doktor und das liebe Vieh
- Dr. Jorgo Chatzimarkakis
- Dr. Titel
- Dr. Spiele
- Dr. Vater
- Dr. Mabuse
- Dr. Octopus
- Dr. Schlager und die Kuschelbären
Aber wer wären wir zu zweifeln?
- Dr. Snuggles
- Dr. Who
- Dr. Alban
Es wuchs uns über den Kopf
Ja, ich gebe es zu. Jetzt, wo es eh jeder weiß, können wir ja ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern: Uns wuchs die ganze Sache mit Lonelygirl15
sowieso langsam über den Kopf. Ist einfach zu viel Arbeit geworden…
Aber wie es aussieht brauchen wir uns den ganzen Plot jetzt nicht mehr selbst ausdenken: Vorgestern kam die Bestätigung, daß es zusätzlich zu den Autoren für die Dialoge bald auch Leute geben wird, die für uns den Plot noch zuende weiterentwickeln. Wir hätten an dem Format so auch garnicht weiterarbeiten wollen.
Ach so, wer es noch nicht mitbekommen hat: der Kinderfresser ist 2004 hauptsächlich deshalb in die lange Pause gegangen, weil die organisatorischen Vorbereitungen für dieses YouTube-Format so aufwendig waren. War traurig, hat aber auch einen riesen Spaß gemacht. Seit April hing ja auch YouTube selbst in der Story drin und hat uns etwas unterstützt.
Rückblickend fand ich aber unsere Idee mit dem Alister-Crowley-Altar und dem ganzen Satanisten-Quark lustig. Schade, war nicht meine Idee, hätte ich aber gerne noch weitergestrickt.
Die Studienkollegen aus den Staaten haben es aber von Anfang an leider ein wenig übertrieben: die Ausleuchtung, die übertriebene Gestik der Protagonisten usw… Die Sache mit der Fansite, die wir schon vor dem ersten Video registriert hatten, war schlicht und einfach Dummheit, OK.
Naja, viele Zuschauer haben die Story trotzdem gefressen.
Das Problem ist nur, daß wir unsere Kräfte überschätzt haben: Der Nerd, der keine Frau abbekommt, der LG15-Kritiker mit dem Cowboyhut und der arbeitslosen YouTube-Süchtige (dessen Story wir aber wohl noch weiterführen
werden) – stängig musste irgendeins der Formate mit neuem Inhalt gefüttert werden. Ich will nicht sagen, daß uns langsam die Ideen ausgingen, aber es gipfelte darin, daß einer unserer gohepcat-plots einfach aus dem Satz ‚just let him play videogames for a few minutes, add some music‚ bestand…
Die letzte LG15-Idee aus unserem Hause war übrigens die mit den gefakten Produzenten (deren Namen wir uns notdürftig aus ‚Samuel Beckett‘ und ‚Ned Flanders‘ zusammengebaut haben) – als Notanker, um uns die Pressemeute
ein wenig vom Hals zu halten. Wir dachten auch daran, diese ‚Produzenten‘ selbst noch Filmchen bei YouTube reinstellen zu lassen, mit Erläuterungen, wie sie auf die Idee gekommen sind und dann evtl.
noch, daß sie mit ‚the real lonelygirl15‘ die ‚wahre Geschichte‘
vorstellen, auf der die LG15-Story basiert.
Ich bin der Meinung, man hätte uns auch das abgekauft – aber dieser Plot liegt ja jetzt nicht mehr in unseren Händen…
Was uns die Zukunft bringt…
22.3.2003
Aufgrund der Kritik von Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer am Krieg der USA gegen den Irak, stellt George W. Bush um 2 Uhr MEZ in einer Rede an das Volk dem deutschen Präsidenten ein Ultimatum von 48 Stunden, das Land zu verlassen. Johannes Rau ist auf seine alten Tage nicht mehr so flink – es fallen Bomben auf Berlin.
23.3.2003
Aufgrund des bitteren Kaffees, den George W. Bush zum Frühstück serviert bekam, stellt dieser um 2 Uhr MEZ in einer Rede an das Volk den Präsidenten der Kaffee exportierenden Staaten ein Ultimatum von 48 Stunden, das Land zu verlassen. Keiner fühlt sich persönlich angesprochen – es fallen Bomben auf Kuba.
24.3.2003
Aufgrund der Tatsache, daß Nordkorea über Atomwaffen verfügt, stellt George W. Bush um 2 Uhr MEZ in einer Rede an das Volk niemandem mehr ein Ultimatum von 48 Stunden, das Land zu verlassen. Stattdessen bombardiert er ein paar Kleinstaaten, die er auf der Achse des Bösen vermutet (mit dem Maßband auf dem Leuchtglobus zwischen Deutschland und Libyen). Es fallen Bomben auf Liechtenstein.
25.3.2003
Aufgrund der Kritik der UN an den Polizeiaktionen der USA stellt George W. Bush um 2 Uhr MEZ in einer Rede an das Volk dem Präsidenten von UN-Land ein Ultimatum von 48 Stunden, das Land zu verlassen. Noch zur gleichen Stunde fallen Bomben auf alle UN-Mitgliedsstaaten mit M: Madagascar, Malawi, Malaysia, Maldives, Mali, Malta, Marshall Islands, Mauritania, Mauritius, Mexico, Micronesia, Monaco, Mongolia, Morocco, Mozambique, Myanmar.
24.3.2003
Aufgrund der Tatsache, daß es offenbar Spaß macht, Bomben zu werfen, stellt George W. Bush um 2 Uhr MEZ in einer Rede an das Volk fest, daß es wirklich sehr viel Spaß macht, Bomben zu werfen. Es fallen Bomben auf Paris, um die Franzosen von der Schreckensherrschaft ihres Diktators zu befreien.
25.3.2003
Aufgrund der Tatsache, daß Kuwait über Öl verfügt und „weil wir grad da sind“, stellt George W. Bush um 2 Uhr MEZ in einer Rede an das Volk den Kuwaitis ein Ultimatum von 48 Stunden, das Land zu verlassen. Dann folgt das Übliche.
26.3.2003
Die CNN-Einschaltquoten stagnieren. Es muß schnell gehandelt werden (time is running out). George W. Bush beschließt um 2 Uhr MEZ in einer Rede an das Volk, die Kriegshandlungen zukünftig in die Spielshow „Nur noch 48 Stunden“ einzubetten.
Kleines Lexikon
- sitzen lassen, jemanden: Im Bus oder in der Bahn. Alte Omas oder Opis laß ich gerne sitzen. Froh darf man ausrufen „Juhu, jetzt hab ich einen sitzen!“ (=>sitzen haben, einen)
- sitzen haben, einen: Tunichtgute Menschen, die stundenlang irgendwo ausharren,
wo man diese keinesfalls länger erdulden kann. In der Küche z.B., während (nach) einer Party, so gegen fünf. - widersetzen, sich: Wer schon viel zu lange irgendwo rumsteht, der sollte sich wieder setzen.
- besitzen, etwas: Irgendwo draufsitzen. „Ist das ihr Schrank?“ – „Nein, ich besitze ihn nur.“
- geradesitzen: (Gegenteil:schiefliegen); „He, das ist mein Kaktus, den können sie nicht haben (vgl. => besitzen).“ – „Schon gut, ich wollte ja nur mal gerade sitzen.“
- besetzen: (= konnotieren = dabeischreiben); „Du solltest in deinem Referat schon erwähnen, daß es um Polen geht.“ – „Das wollte ich soeben besetzen.“
- sitzen, auf den Ohren: „Die neue Mütze sitzt ganz fantastisch auf den Ohren.“
- stillsitzen: „Können sie nicht stillsitzen?“ – „Auf sieben schreienden Schimpansen kann man leider nur lautsitzen.“
- aufsetzen: „Frau Müller-Wurstrahm, würden sie dem Herrn Generaldirektor und mir bitte Tee aufsetzen.“ – „Danke, mir nicht, ich trage einen Hut.“
- sitzen, in der Tinte: „Möchten sie lieber in der Tinte, oder dort drüben auf dem Trockenen sitzen?“ – „Kann ich nicht hier hinten sitzen bleiben oder einfach widerstehen?“
- sitzen bleiben, auf etwas: Den Sitzplatz beibehalten. „Wenn nicht noch ein paar albanische Austernfischer zum Essen vorbeikommen, bleibt der Koch auf seinen Albatrossen in Aspik sitzen.“ – „Dabei ist das so ungesund für die Bandscheibe!“
Der seltsame IKEA-Trip
Ein lauer Sommermorgen. Samstag. Zu jener Zeit, in der man, wäre es Winter, noch schliefe, jetzt jedoch schon wach ist, auf eine seltsame Art ausgeschlafen. Die Zeit, bevor sich die Mittagshitze über einen wirft, wie ein vollgeschwitztes Saunahandtuch. Das erste, was man sich morgens anzieht, sind die Autoschlüssel, weil man zur Abwechslung mal einen Auftrag hat. Die Kaffeetasse nimmt man gleich mit auf die Autobahn – aus dem Radio leichter Funk, thematisch an die eigene Befindlichkeit angelehnt. Sogar ein festes Ziel hat man – diesmal: Einkaufen. Bei IKEA. Die Vitrine Benno oder so soll es sein. Namen sind Schall und Rauch – so viele verschiedene Vitrinen mit Glastür wird es in dem schwedischen Möbelhaus schon nicht geben, denkt man sich. Schließlich weiß man ungefähr, wie das Ding aussieht. Häßliche Kiefer – würde man sich selbst nicht kaufen, geschweige denn dieses Teil überhaupt benötigen. Auftragsarbeit. Weil man ein Auto hat, wo das Ding reinpasst. Das Geld lag schon bereit, fast abgezählt, den Umweg zur Sparkasse konnte man sich schenken, der Tank ist noch halb voll, die Laune gut.
Einzig musste man sich vielleicht entscheiden, welches IKEA man aufsucht, die Wahl fiel auf den neugebauten Riesen im Süden der flirrenden Großstadt. Autobahnkreuz, andere Autobahn, Abfahrt verpasst, egal. Quer durch ein verkommenes Industriegebiet voller Gebrauchtwarenhändler, irgendwann erreicht man das Ziel: Ein Klotz aus Stahl, freundlich bunt bepinselt, zugestopft mit billig zugeschnittenem Holz und falsch abgezählten Schrauben, in Plastik verschweißt. Hat man noch weitere Klischees auf Lager? Guten Tag Herr Studienrat, auch im geliehenen Passat unterwegs? Grinsend betritt man die Horrorhallen des möblierten Wahnsinns.
Am Eingang drängen sich einem die unsäglichen Bleistifte auf. Man kann sich jedoch darauf besinnen, daß diese Dinger mit knüppelharten Minen ausgestattet sind. Gerade so, daß sie sich zum Schreiben nicht eignen. Da man höchstens Papier in Form alter Kassenzettel bei sich führt, denen diese Stifte umgehend den Garaus machen würden, greift man nicht zu. Plötzlich hat man es dann doch eilig, aus dem Gruselkabinett so schnell wie möglich wieder heraus zu kommen. Abkürzungen gibt es bei IKEA nicht. Man wird durch Wohnwelten geschlängelt. Das Prinzip des Mitnehm-Ramschs, wie kurz vor der Kasse bei Plus, greift hier überall. Der Kunde muß sich alles anschauen, alles gesehen haben, am aller besten auch alles kaufen. In der Ecke auf der Plüschcouch zwei aparte Noch-nicht-ganz-Studentinnen, richten sich womöglich ihre neu gegründete WG ein, kleiner Tiger und kleiner Bär brauchen ein Sofa, Papi bezahlt. Man ahnt das Zerwürfnis nach spätestens zwei Semestern Zusammenwohnens. Eine geht wahrscheinlich auf Auslandssemester nach Timbuktu, nimmt das inzwischen fleckige und mit Brandlöchern übersäte Sofa trotzdem – und aus Prinzip – mit, die andere holt sich einen vollgepissten Teppich auf dem Trödel und stellt eine Teekiste in dessen Mitte, auf diese wiederum einen unförmigen Kerzenständer mit dazu passendem Stummel. Wir wissen alle, wie so etwas endet.
Schleunigst bewegt man sich weiter in die vorgegebene Richtung, in der man die blöde Vitrine erwartet. Stattdessen überall Apple Macintosh Computer, hier hat man ganz offensichtlich am falschen Gegenstand rumdesignt. Schließlich ruft man auch nicht eine Horde kettenrauchender Industriedesigner zusammen an einen Brainstorming-Tisch, wenn man ein Kohlekraftwerk bauen will. Naja, diese kleinen Buntplastikklumpen rechnen ja auch nur vor sich hin. Auf den IKEA-Vorzeige-imacs klebt jedenfalls je ein Schild mit der Aufschrift „nicht funktionsfähig“. Dieser Ansicht war man schon seit längerem.[…]
Drüben irgendwo steht die gesuchte Virtine, die ganz anders heißt, als man dachte. Man überprüft den Preis und bemüht sich, schleunigst Richtung Lager zu gelangen. Kurz vor der Treppe, die einen ins Kochtopf- und Badezimmerlampeninferno führen soll, reagiert jedoch eine Bande naseweiser Jungmeschen ihren Einkaufsfrust an den mittlerweile kreuz und quer herumliegenden Kinderzimmereinrichtungsgegenständen ab. Die dicke Mutter streitet mit dem noch dickeren Vater in der Küchenabteilung über Ceranfelder. Im einzigen Kaufhaus auf der Welt, in dem man die großartige Möglichkeit hat, sich der Blagen zu entledigen, indem man diese in einem Meer aus Plastikbällen ersäuft, schleifen diese Gehirnamputierten ihre Quälgeister mit sich durch das Labyrinth aus Sperrmüll im Vorstadium.
Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und man selber schon zwischen den riesigen Regalreihen, die ganze Wohnungen, zusammengelegt in unhandlichen Pappkartons, beheimaten. Hier kurven Unmengen von Smartfahrern mit Einkaufswagen durch die Gegend, die so weit und voll beladen sind, daß man diese im öffentlichen Straßenverkehr nur mit Sondergenehmigung bewegen dürfte. Es kommt einem so vor, als es ob die Hälfte dieser Lenkversager nur darauf abgesehen hätte, einem mit der scharfen Kante ihres „Ivar“ die Kniescheiben zu amputieren. Irgendetwas ist falsch. Selbst hat man keinen dieser Mördereinkaufswagen und weiß auch gar nicht, wie man seine Vitrine in den Regalen finden soll, weil man sich die Lagernummer nicht gemerkt hat. „Anarchie“ spukt es im Kopf und so kehrt man um, widersetzt sich dem vorgegebenen Schlängelpfad und geht diesem nun entgegen.
Fehler. Für solche Aktionen ist die IKEA-Dimension einfach nicht ausgelegt. Auslagen und Knüpfteppiche und Thermoskannen und Bastdings und Kieferdangs und Plunder kommen falsch herum auf einen zugeflogen, die Menschen gehen rückwärts und tragen ihre Hüte an den Füßen. Die rebellischen Kinder stehen plötzlich nicht mehr im Weg, ihre Eltern haben schon immer ein Ceranfeld besessen, die zänkischen Studentinnen vertragen sich in ihrer WG auf Rattansesseln. Plötzlich taucht Benno auf, dein guter Freund, die Kiefervitrine und schreibt dir seine Regalnummer mit weichem Bleistift auf dicke Pappe.
So endet der Ausflug in eine andere Dimension zwischen Billyregalen in Weiß und oder Buche – man reiht sich wieder ein in den unaufhaltsamen Strom der Studienräte, greift sich schließlich auch einen dieser unsäglichen Einkaufswagen, hievt ein Paket Benno aus dem Lager und verschwindet auf Nimmerwiedersehen in einer der Reihen vor den Kassen. Erst am Kofferraum seines Kleinwagens wird man sich seiner Situation wieder richtig gewahr. Etwas benommen läd man Benno durch das Faltdach ein, stopft eine Rockmusik-Kassette ins Autoradio und versucht, nicht an dem Gedanken zu verzweifeln, daß man sich nun bei knallender Mittagssonne durch die grau versmokte Innenstadt zurück nach Hause quälen muß.
Fast hättest du mich gehabt, IKEA! Viel hat nicht mehr gefehlt, dann hätte ich sogar eine Tüte Teelichter gekauft.